Ich bin schlaflos im Gai, weil ich, als ich in der Nacht durch die einsamen, nebligen Straßen und verwinkelten Gassen der Altstadt von Pfullendorf gelaufen bin, ein etwas mulmiges Gefühl gehabt habe.
Unter Tags wirkt die Stadt mit ihrem beschaulichen Ortskern und ihren
alten Fachwerkhäusern charmant und gemütlich. Zumindest braucht man
sich zu dieser Tageszeit keine Sorgen zu machen, dass Ganoven und
Gangster einen bedrohen und überfallen. Doch nachts und vor allem im
Winter, wenn sich nur noch wenige Menschen in den Straßen aufhalten und
die meisten sich lieber in den Häusern aufwärmen, fühlt man sich dagegen
allein und versucht schnell das Weite zu suchen. Wenn der Nebel dazu
noch die Stadt umhüllt und die meisten Gasthäuser ihren Betrieb
eingestellt haben, verspürt man einen Hauch von einer Stadt in
Transsilvanien.
Als ich auf der Homepage der Stadt von der Räubertour gehört habe,
eine Stadtführung, welche das Räuberleben im 19. Jahrhundert näherbringen
soll, kam ich auf die Idee nach der Räuberspurensuche im Großraum von
Pfullendorf. Da der Räuberführer in dieser Jahreszeit noch Winterschlaf
hält, versuchten wir selbst etwas über das Räuberleben vor Ort
herauszufinden. Zu unserem Erstaunen konnten nur sehr wenige
Pfullendorfer über das Thema berichten. Ein paar Experten machten uns
klar, dass das Räuberleben eher ein Marketingkonzept darstellt und
Pfullendorf, im Vergleich zu anderen Orten, eher wenig von Räuberei
betroffen war. Stattdessen gibt es ganz in der Nähe einen Ort, der von
der Räuberzeit deutlich stärker betroffen war, als die ehemalige
Reichsstadt Pfullendorf. Gemeint ist das Dorf Ostrach, welches östlich
von Pfullendorf liegt und zusammen mit den umliegenden Orten etwa 7.000
Einwohner hat.
Hier trieb eine bekannte Räuberbande unter der Leitung des legendären
Xaver Hohenleiter, auch bekannt als der Schwarze Veri, ihr Unwesen. Der
Grund, weshalb sich die Räuberbande in Ostrach und Umgebung Anfang des
19. Jahrhunderts so wohl fühlte, lässt sich mit der Lage des Ortes
begründen. Ostrach lag im 19. Jahrhundert, zusammen mit den heutigen
Teilorten, im Dreiländereck zwischen Hohenzollern, Baden und
Württemberg. Durch die Grenzen konnten sich die Räuber relativ
unbehelligt bewegen, da sie die Strafverfolgung nach einem Überfall nur
innerhalb der jeweiligen Grenzen verfolgen konnte. Oftmals überfiel die
Bande des Schwarzen Veri Ortschaften in einer der drei Ländereien und
flüchtete dann über die Grenzen, die damals noch offen und ohne
Kontrollen waren.
Ostrach und seine vielen Teilorte, die rund um den Hauptort verstreut
liegen, waren somit der perfekte Ort für die Räuber. Im Vergleich zu
den Piraten kann Ostrach als das „Tortuga“ Oberschwabens bezeichnet
werden. Oftmals trafen sich die Räuber in einer Kneipe in Spöck, einem
heutigen Teilort der Gemeinde Ostrach und überlegten sich ihren Plan für
die nächsten Überfälle. Bei der Umsetzung ihrer Pläne setzten sie auf
ein Sammelsurium von geheimen Kommunikationsmöglichkeiten, den
sogenannten Zinken. Darunter versteht man verschiedente Zeichen einer
Räubersprache, beispielsweise graphische Kennzeichnungen an Häusern oder
Baumstämmen, mit denen nur die Räuber etwas anfangen konnten. Aber auch
spezielle Gestik und Mimik oder Geräusche wurden verwendet.
Außerdem benutzten die Räuber eine Geheimsprache, das „Rotwelsch“,
damit neugierige Lauscher von ihrem Konzept nichts mitbekamen. Im
Räuberleben spielten überraschender Weise auch Frauen, beziehungsweise
die Ehefrauen eine große Rolle. Oftmals sorgten sie für die Ablenkung
der männlichen Opfer, indem sie die Männer bezirzten oder sich
entblößten, während die Ganoven währenddessen im Hof oder in den Häusern
Beute machten. Trotz einiger Erfolge konnte der Schwarze Veri im Jahre
1819 in der Nähe von Laubbach, südöstlich von Ostrach, gefangen genommen
werden. Er wurde nach Biberach überstellt, wo er im Ehinger Tor
eingesperrt wurde. Laut einer Sage wurde der Schelm, aufgrund der
angelegten Stahlketten, nach einem Blitzeinschlag im Turm getötet.
Neben seinen Taten macht ihn dieser ungewöhnliche Tot zu einer noch
heute bekannten Legende in Oberschwaben. Noch heute erinnern einige
Artefakte in Ostrach an die Berühmtheit des Xaver Hohenleiters. Ein
Beispiel ist die Schwarze-Veri-Wurst in einer Metzgerei in Ostrach,
welche bei den Kunden sehr beliebt ist. Auch gibt es ein kleines Museum,
in dem die Ortsgeschichte vorgestellt wird. Neben der Besonderheit der
Grenzziehung, den kriegerischen Auseinandersetzungen zu Zeiten
Napoleons, wird auch etwas über das Leben der Räuberbande des Schwarzen
Veri erzählt. So werden etwa die geheimnisvollen Zinkenzeichen
vorgestellt. Außerdem wird die Räuberbande namentlich mit Bildern
präsentiert. Desweiterem setzt Ostrach auch im Marketing auf
verschiedene Programme im Zusammenhang mit den Räubern. Beispielweise
gab es in diesem Jahr ein großes Räubertheater, welches die Raubzüge des
schwarzen Veri nacherzählt. Außerdem wurde die Bahnstrecke, die von
Aulendorf über Ostrach nach Pfullendorf führt, kürzlich in "Räuberbahn"
umbenannt.
Es kann also festgehalten werden, dass sich das Treiben der Räuberbande des Schwarzen Veri vor 200 Jahren so stark in das kollektive Gedächtnis der Ostracher Bevölkerung eingebrannt haben muss, dass auch heute noch oft darauf Bezug genommen wird. Die Bande um Xaver Hohenleiter lebt sozusagen in der Tradition und touristischen Vermarktung weiter. Unsere aufwendige und zeitintensive Spurensuche nach Überbleibseln der Räuberzeit war erfolgreich.
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