Nur für den Fall dass ihr das letzte Wochenende auf einer Tiefseestation im Pazifik, im Keller oder einfach nur fernab von jeglichen Social Media – Kanälen verbracht habt: es war Southside. Wieder einmal. Und wieder einmal waren Instagram und Facebook am Sonntagabend, spätestens am Montag überflutet von Bildern und Videos, aufgenommen auf dem Flugplatz bei Neuhausen ob Eck.
Nur rund 30 Kilometer von Sigmaringen City entfernt findet hier jährlich eines der größten Musikfestivals Deutschlands statt: das Southside. Bei uns im Landkreis spaltet es regelmäßig die Bevölkerung in zwei Lager: die die gehen, und die die zuhause bleiben. Im letzten Jahr gehörte ich der zweiten Seite an – und fand die vier Tage bis auf die Vorzüge des warmen Betts und des gepflegten Schlafes kurz gesagt schrecklich. Voller Enthusiasmus und Tatendrang bestellte ich mir schon ein Ticket für 2019, da waren die Besucher von 2018 noch gar nicht aus ihrem After-Festival-Koma erwacht. Danach hieß es nur noch Warten – auf den 20. Juni 2019.
DAS LINEUP
„Southside-Festival hat etwas in seiner Veranstaltung gepostet“ – wenn eine Benachrichtigung meines Handys meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, dann diese. In mehreren Bandwellen veröffentlicht das Southside im Laufe des Jahres zwischen den Festivals das Line-Up. Ich gebe zu, meine Erwartungen sind hoch, immerhin waren schon Headliner wie Linkin Park und Green Day in Neuhausen zu Besuch. Wahrscheinlich ist es mit dem perfekten Line-Up immer ein bisschen wie Lottospielen – meine Glückszahlen werden diesmal leider nicht gezogen. Auf ein paar Acts – Mumford and Sons, Bosse und Lauv – freue ich mich trotzdem.
DAS MAGISCHE BÄNDCHEN
Am Anfang ist der Regen – wie hätte es anders sein können. Die Wettervoraussichten für das lange Wochenende um Fronleichnam variieren zwar von Internetplattform zu Internetplattform, sehen aber in keinem Fall besonders rosig aus. Wir stehen selbstverständlich trotzdem am Donnerstag um Punkt 08:00 Uhr am Eingang des Festivalgeländes, in der naiven Annahme, wir könnten die einzigen sein. Zwei quälende Stunden mit zu vielen Menschen und zu schweren Rucksäcken im Gedränge verstreichen, ehe wir schließlich das grüne, schmale Stoffband an unserem Handgelenk tragen. Es ist eng, es kratzt, aber es macht uns offiziell zu einem Teil des Southside 2019, und verbindet uns mit sämtlichen anderen Menschen an diesem Ort. Was für ein magisches Gefühl!
Die großen Regenschauer setzen Gott sei Dank erst mittags ein, als bei uns nach langen Kämpfen und unter Unterstützung sämtlicher Nachbar-Camper bereits Zelte und Pavillon stehen. Fakt ist: wo Anfänger sind, sind auch die Anfängerfehler nicht weit.
DAS FESTIVAL – LEBEN
Das Motto von vier Tagen Festival: es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung. Mit absolut stylischen Regenponchos und zusammengebissenen Zähnen trotzen wir den Regenschauern, die uns Tag für Tag besuchen. Trotzdem ist das Wetter insgesamt deutlich besser als erwartet und so können wir den Großteil des Tages trockenen Fußes das Festivalgelände durchqueren. Was wir dabei erleben: fröhliche Menschen an jeder Ecke, von überall her Lieder mit fragwürdigen Texten aber guten Melodien, Party von 0 bis 24 Uhr und bekannte Gesichter in jeder Straße. Das freut mich am meisten, dass ich so viele Leute treffe, die ich kenne. Wie wahrscheinlich ist das auf einer Veranstaltung mit über 60 000 Menschen? Sogar einem Freund aus Friedrichshafen, den ich locker drei Jahre nicht gesehen habe, laufe ich auf der nächtlichen Landebahn einfach so über den Weg.
Wenn die Welt wie ein Festival wäre – sie wäre eine leicht angetrunkene und quietschbunte, aber deutlich bessere Welt.
DIE KONZERTE
Der Alltag auf dem Festivalgelände ist eigentlich schon Abenteuer genug. Nicht umsonst gibt es in Hailtingen im Landkreis Biberach seit Jahren das „Festival ohne Bands“, bei dem sich die Besucher das Geld und den Stress für hochkarätige Headliner sparen. Für mich ist das Betreten des Konzertgeländes auf dem Southside aber etwas ganz Besonderes. Zwischen Himmel und im Schlamm versinkender Erde flirrt die Energie der Künstler, die Aufregung der Fans und die Euphorie, die in der von Sängern und Zuhörern gemeinsam gesungenen Songs mitschwingt. Das hier ist ein Ort, an dem Menschen auf ihre Idole treffen, an dem sie zum ersten Mal Gesichter zu den Stimmen sehen, die sie tagtäglich begleiten.
Ich genieße es, bei OK KID, Bosse und Lauv in der Menge zu stehen, meine Arme zu heben und mit Menschen im Chor zu singen, die ich noch nie im Leben gesehen habe, die theoretisch aber meine besten Freunde sein könnten, immerhin teilen wir schon mal den Musikgeschmack. Manchmal muss man sich auch auf etwas Neues einlassen und sich von der Begeisterung anderer anstecken lassen, stelle ich fest, als ich beim Bausa-Konzert auf einmal lauthals mitsinge, obwohl die Musik des Deutschrappers eigentlich so gar nicht mein Fall ist. Und dann sind da noch diese gänzlich magischen Tage wie diesen, an denen 50 000 Menschen mit Campino von den Toten Hosen im Chor singen – es regnet nicht, die Welt da draußen schrumpft auf ein Minimum zusammen, und alles passiert genau, wie es passieren muss. Danke.
DAS ENDE
Das Southside 2019 ist Geschichte, und es ist unfassbar, wie schnell die Zeit vergangen ist. Noch eine Weile lebt es auf den Bildern auf Instagram weiter, die ich mir zum ersten Mal gerne ansehe, weil sie mich an unsere eigene Zeit auf dem Festival erinnern. Noch eine Weile tragen wir die grünen Bändchen und lassen die Welt wissen, dass wir Teil eines legendären Wochenendes waren, ob sie es wissen wollen oder nicht. Dann kehrt wieder Ruhe ein. In dieser Zeit wird Gras über den zertrampelten Flugplatz wachsen und neue Bands schreiben neue Lieder für ein neues Southside.
Ich bin dann mal weg – Karten für 2020 kaufen.
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